Vom Haushaltskompromiss zum Bauernprotest – geht’s hier noch um Agrarsubventionen?

In der sonst so staden Zeit zwischen den Jahren ist Einiges durcheinandergeraten. Mit zahlreichen vom Deutschen Bauernverband und seinen Untergliederungen angemeldeten Traktorendemos – und noch zahlreicheren unangemeldeten Verkehrsblockaden – wird gegen die Politik der Bundesregierung protestiert.

Hier versurchen wir mit einer Chronologie der Ereignisse, die aktuell aufgeheizte Debatte wieder einzuordnen und plädieren für eine Rückkehr zur Sachlichkeit.

Auslöser für den Unmut war die Ankündigung, die Kfz-Steuerbefreiung sowie die Rückerstattungen der Dieselsteuern für Agrarfahrzeuge streichen zu wollen. Für viele Leidgeplagte in der Landwirtschaft „ein Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte“. Unser Landwirtschaftsminister Cem Özdemir und unsere bayerische Landtagsfraktion hatten dabei schon frühzeitig diesen Punkt einer komplexen Verhandlungslösung infrage gestellt.

Offener Brief zu Streichungen im Bundeshaushalt 2024: „Preis ist zu hoch und Folgen zu schwerwiegend für die Landwirtschaft!“ | Bündnis 90/Die Grünen im Landtag Bayern

Im Anschluss daran hat die Bundesregierung die Planung korrigiert für einen besseren Kompromiss gesorgt, der nur noch sehr geringe und zeitlich gestreckte Belastungen der Landwirtschaft vorsieht. So bleibt die Befreiung von der Kfz-Steuer bestehen; die Agrardieselsteuer wird noch weitere drei Jahre zumindest teilweise rückerstattet.

Die Bauernverbände hielten dennoch in einem unübersichtlichen Protestgeschehen – zum selben Termin waren auch zuvor bereits Aufrufe zu Generalstreiks und Umsturzfantasien verbreitet worden – an ihren angekündigten Protesten in einer „Aktionswoche“ ab 8.1. fest und zeigten dabei zunächst auch keinerlei Kompromissbereitschaft mehr. Dabei wurden sie flankiert von der Union und anderen Oppositionskräften, die allerdings in der Sache kaum Lösungen vorschlagen, sondern sich hauptsächlich in ihre Forderung nach Neuwahlen einhaken.

Eine Chronologie der Ereignisse

Um die aktuell aufgeheizte Debatte bessser nachvollziehen zu können, haben wir hier die Ereignisse seit dem Verfassungsgerichtsurteil zur Schuldenbremse im November 2023 bis zum Aktionstag 8.1.2024 zusammenzufassen:

15.11.2023
Das Bundesverfassungsgericht beurteilt die Umwidmung von Krediten in Höhe von 60 Milliarden Euro aus dem Sondervermögen zur Pandemiefolgenbekämpfung als Verstoß gegen die im Grundgesetz geregelte Schuldenbremse.
Die Bundesregierung hatte diese Mittel im Nachtragshaushalt 2021 in den Klima- und Transformationsfonds verschoben und argumentiert, dass sie weiterhin der Bekämpfung der Pandemie-Folgen dienten, indem sie zur Stabilisierung der Wirtschaft verwendet werden.
Das Bundesverfassungsgericht weist auf die Bedeutung des Urteils auch für die zukünftige Haushaltsführung hin. Sämtliche Sondervermögen (29, davon das älteste aus 1953) müssen überprüft werden. Vor allem mit Notlagen begründete Sondervermögen erweisen sich dabei oft als grundgesetzwidrig. Dieses Urteil schränkt den Handlungsspielraum der Bundesregierung, auf unplanbare Notlagen schnell zu reagieren, extrem ein. Gelder, die etwa für den Wiederaufbau nach der Flutkatastrophe im Ahrtal, für die Ukraine oder für günstige Energiepreise geplant sind, stehen auf der Kippe.
13.12.2023
Bundeskanzler Scholz und seine beiden Vize-Kanzler Habeck und Lindner einigen sich auf eine Kompromisslösung, um die laufenden Haushaltsplanungen wieder zurechtzurücken. Trotz zahlreicher notwendiger Sparmaßnahmen und Kürzungen können alle für die wirtschaftliche Entwicklung Deutschlands wesentlichen Programme des Klima- und Transformationsfonds beibehalten werden. Auch die Kindergrundsicherung bleibt. Zudem startet die im Koalitionsvertrag vereinbarte Abschaffung klimaschädlicher Subventionen, unter anderem in der Landwirtschaft (Agrardiesel und Kfz-Steuer).
14.12.2023
Landwirtschaftsminister Özdemir kritisiert die überproportionale Belastung der Landwirtschaft.
Sein Ministerium hatte auf Nachfrage des Finanzministeriums bezüglich der besagten Agrardiesel-Subventionen Mitte des Jahres eine Überarbeitung geprüft, bei der freiwerdende Mittel weiterhin der Landwirtschaft zugutegekommen wären. Diese Überarbeitung wurde jedoch im Landwirtschaftsministerium verworfen, da es in der Landwirtschaft im Gegensatz zum motorisierten Individualverkehr keine vergleichbaren emissionsfreien Alternativen gibt.
Zur Haushaltskonsolidierung hatte Özdemir explizit davor gewarnt, der Landwirtschaft Mittel zu streichen.
15.12.2023
Der Rechnungsprüfungsausschuss des Bundestags beschließt, vom Finanzministerium die Abschaffung der Ausnahmen für landwirtschaftlich genutzte Fahrzeuge bei der Kfz-Steuer zu fordern.
Schon im Dezember 2022 hatte der Bundesrechnungshof darauf verwiesen, dass diese überholt und nicht mehr zielführend sei. Ihr ursprünglicher Sinn bei der Einführung vor 100 Jahren – die Motorisierung der Landwirtschaft zu fördern, also die Umstellung von Ochs und Gaul zum Traktor – ist längst erfüllt.
Abgeordnete aller Parteien (inkl. Union und Afd) stimmen einstimmig für die Abschaffung; die Formulierung beinhaltet allerdings auch, dass geeignete Kompensationen für die Landwirtschaft vorgeschlagen werden sollen. Die Zuständigkeit der Umsetzung liegt bei Lindners Finanzministerium.
17.12.2023
Die FDP-Fraktion kündigt ein Veto gegen die Streichungen der Subventionen in der Landwirtschaft an. Robert Habeck verteidigt den in der Kanzlerrunde beratschlagten Deal bzw. warnt davor, ihn wieder aufzukündigen: Wer einzelne Teile ändern möchte, müsse sich auch um die entstehende Finanzlücke kümmern.
18.12.2023
Die Bayerischen Grünen fordern, das Geld über Reformen des Dienstwagenprivilegs einzusparen, anstatt bei der Landwirtschaft.
04.01.2024
Die Bundesregierung teilt mit, dass die Kfz-Steuerbefreiung doch nicht gestrichen werden soll. Die Erstattung der Agardieselsteuer soll nun schrittweise erst bis 2026 erfolgen. Cem Özdemir und Robert Habeck haben für diese Lösung gemeinsam Mittel gefunden. Da diese aus dem Landwirtschaftsressort stammen sollten, sind stattdessen Fördermittel für nachhaltige Fischerei gestrichen.
Trotz dieses weitreichenden Entgegenkommens wollen der Bauernverband und seine Landesverbände sowie andere landwirtschaftliche Branchenverbände an den angekündigten Protesten festhalten. Auch die bayerische Landwirtschaftsministerin Kaniber (CSU) fordert den kompletten Erhalt aller Subventionen.
Derweil werden Ampel-Galgen aufgestellt; die Mobilisierung für den 8.1. als Aktionstag wird auch weiterhin von Afd- und radikalisierten Querdenkermilieus verstärkt.
04.01.2024
Vizekanzler und Wirtschaftsminister Robert Habeck sowie rund 30 weitere Passagiere einer Fähre von der Hallig Hooge werden durch einen wütenden Mob am Hafen Schlüttsiel empfangen. Habeck wird dabei bedroht und sämtliche Passagiere am Verlassen der Fähre gehindert. Statt auf ein von Habeck unterbreitetes Gesprächsangebot einzugehen, wollen die Protestierenden die Fähre stürmen, als der Kapitän wieder ablegt.
Obwohl die Bauernverbände diese Grenzüberschreitung verurteilen und offenbar die Kontrolle über das Protestgeschehen verlieren, halten sie unverändert an ihren Protestankündigungen und der „Aktionswoche“ fest.
08.01.2024
Proteste im ganzen Land; zusätzlich zu angemeldeten Traktorendemos zahlreiche Verkehrsblockaden. Bauern „legen das Land lahm“ und gehen damit bewusst die Assoziation mit rechten und rechtsextremen Aufrufen zum „Generalstreik“ am selben Tag in Kauf. An vielen Orten scheitern die offiziellen Aufrufe des Bauernverbands, sich von Rechtsextremen und von Gewaltaufrufen abzugrenzen.
Zeitgleich weilt der Bauernverbandspräsident in Bad Seon bei der Winterklausur der CSU-Bundestagsfraktion. Deren Hauptthema: wie sie möglichst bald Neuwahlen im Bund erzwingen und an die Bundesregierung zurückkehren können.

Eveline Kuhnert, Bezirkssprecherin Schwaben: „Ich bewundere die Kraft der Grünen. Allerdings scheint diese in den letzten Jahrzehnten geradezu übernatürlich gewesen zu sein, haben doch angeblich die Grünen dafür gesorgt, dass immer mehr kleine Bauernhöfe aufgeben mussten, ohne dass es überhaupt eine grüne Regierungsbeteiligung gab. Dass sich nun ausgerechnet die CDU/CSU als „Retter der Landwirtschaft“ (natürlich nicht Retterin) anpreist, spottet nach deren jahrzehntelanger Regierungsmacht jeder Beschreibung.“

Klimabewegung und Traktorproteste – wird mit zweierlei Maß gemessen?

Besonders irritierend sind die unterschiedlichen Reaktionen, die Verkehrsblockaden hervorrufen – je nachdem, ob sie von der Klimabewegung oder der Landwirtschaft verursacht werden. Während die Klimabewegung kriminalisiert wurde, scheinen die Behörden bei den Traktorendemos sowohl bei den Genehmigungen als auch beim Umgang mit unangemeldeten Verkehrsblockaden ein anderes Maß anzulegen. Dabei ist für uns Klimapolitik und Agrarpolitik kein Gegensatz und eigentlich könnten beide Protestbewegungen sich zusammenschließen. Schließlich geht es um unser aller Lebensgrundlagen, wenn die klimatischen Bedingungen für die Landwirtschaft sich massiv verändern.

Die Grünen sind dabei auf allen politischen Ebenen auch mit den Bäuerinnen und Bauern im Austausch, wie sie die klimapolitische Wende mitgestalten und mit gerade in der Landwirtschaft schon längst bemerkbaren Klimafolgen umgehen und unterstützt werden können. „Transformation wird nicht ohne Schmerzen funktionieren; aber die Opportunitätskosten, die entstehen, wenn wir uns der Transformation verweigern, sind ungleich höher“, so Kuhnert. „Schon jetzt übersteigen die Folgekosten der Klimaschäden wie Überschwemmungen, Dürren, Waldbrände, Hitzetote die Transformationskosten um ein Vielfaches. Die Verschleppung der notwendigen Reformen und der enorme Sanierungsstau machen den Umbau in eine klimaschonende Wirtschaft teuer.“

Sachlichkeit statt Aufwiegelung, Herz statt Hetze

Zwar distanzieren sich Bauernverbände und Unionsparteien von Begleiterscheinungen der Proteste wie etwa Galgen, an denen symbolisch die Ampel erhängt wird, unangemeldete Blockaden und Nötigungen im Straßenverkehr oder vom Versuch, die Urlaubsfähre zu stürmen, auf der unser Vizekanzler Robert Habeck unter den Passagieren war. Doch auch in ihrer eigenen Rhetorik geht es auffällig wenig um die Sache, sondern darum, die Wut auf die Ampel und insbesondere auf die Grünen weiter anzuheizen. In ihrem Bemühen, die Anti-Ampel-Stimmung zunutze zu machen, schlugen sich zahlreiche Amtsträger der bayerischen Regierungsparteien auf die Seite der Demonstrierenden.

Unsere Dillinger Kreistagsfraktion kritisierte in diesem Zusammenhang eine vom Bauernverband explizit nicht unterstützte Demonstration in Dillingen, an der Landrat Markus Müller (FW) und Dillingens Oberbürgermeister Frank Kunz (CSU) teilgenommen hatten.

In einem offenen Brief wies unsere Oberallgäuer Kreistagsfraktion die Landrätin Indra Baier-Müller (FW) auf „extremistische und menschenverachtende Aktionen und Äußerungen“ hin, die im Umfeld der Bauerproteste kursierten, und mahnten sie an, „über den offiziellen Account der Landrätin zuvorderst mäßigende und nicht polemische Inhalte“ zu verbreiten.

Auch die Kemptener Grünen verurteilten „hetzerische Parolen und menschenverachtende Äußerungen“ im Zuge der Bauernproteste und forderten alle demokratischen Parteien dazu auf, „sich nicht an einer Verschärfung der Protest-Unkultur zu beteiligen, sondern sich konstruktiv und mäßigend einzubringen“.

„Mit Ampel-Bashing und Hetze gegen die Grünen erreicht man nichts, außer eine weitere Erosion der demokratischen Grundfeste. Wut ist ein schlechter Ratgeber; Besonnenheit und eine Rückkehr zum sachlichen Dialog sind jetzt notwendig“, so unsere Bezirkssprecherin Kuhnert. „Wir bieten Lösungen – wissenschafts- und faktenbasiert und möglichst sozial ausgewogen. Das ist nicht leicht, aber mit vereinten Kräften kriegen wir es hin.“

Die Europwahl steht an – wähle im Juni für ein besseres Agrarsystem!

Der wesentliche Anteil aller Agrarsubventionen kommt übrigens von der EU, nicht vom Bund. Die Europawahl in diesem Juni wird ein wichtiger Termin, an dem wir über eine fairere und sinnvollere Verteilung des Geldes in der Gemeinsamen Europäischen Agrarpolitik abstimmen können.

7-Punkte-Plan: Perspektiven für die Landwirtschaft | Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen

Die Grünen sehen vor, dabei von der Flächenpauschale abzurücken, die große Betriebe stärker begünstigt und das „Wachse oder Weiche“- Prinzip und damit die Existenznot kleinerer Bauernhöfe immer weiter verschäft. Stattdessen sollen die Subventionen so ausgezahlt werden, dass gesamtgellschaftlicher Nutzen bäuerlicher Landwirtschaft – wie etwa Landschaftspflege, Umwelt- und Artenschutz – sowie die Umstellung auf klimafreundliche Technologien und nachhaltige Methoden sich mehr lohnt als die reine Optimierung auf billige Futter- und Nahrungsproduktion.